Bis es „Il Guercio“ in die Toskana verschlägt, dauert es eine ganze Weile. Italien ist für ihn lange Zeit eine Urlaubsdestination, kein Arbeitsplatz. Erst, als er vom englischstämmigen John Dunkley und seinem Weingut in Gaiole erfährt, stellen sich für ihn die Weichen neu. Was als lose Kontaktaufnahme beginnt, mündet nur zwei Wochen später in dem Angebot, am Weingut Riecine als Kellermeister anzufangen. Sean willigt ebenso spontan ein, wie die Offerte gekommen ist, doch das Arbeitsverhältnis hält über ein Vierteljahrhundert – für 26 Jahre bleibt er auf dem renommierten Weingut, bis er sich aufgrund eines Besitzerwechsels dazu entschließt, neue Wege zu gehen.
Als Karl Egger von Seans Abgang erfährt, zögert er nicht, den inzwischen berühmt gewordenen Kellermeister anzuwerben – er würde ihm völlig freie Hand auf seinem Weingut geben. Vorsichtig willigt O’Callaghan ein, widmet sich aber bald schon mit ganzer Seele dem Projekt Tenuta di Carleone, das rasch zu einer großen Spielwiese wird. Er besorgt Edelstahl- und Holzgärständer, Eichenfässer in diversen Größen sowie moderne Zementtanks und Betoneier, um die Trauben einer jeden Parzelle seinen Wünschen und Vorstellungen entsprechend zu vinifizieren.
Es gibt nur eine einzige Vorgabe seitens Karl Egger: „Sangiovese mit Twist“ soll es sein. Seans Twist. Das gelingt dem englischen Kellermeister seit seinem ersten Jahrgang 2015 hervorragend. Aus Überzeugung wird nach bio-organischen, teilweise auch biodynamischen Grundsätzen gearbeitet (die offizielle Bio-Zertifizierung folgt in den kommenden Jahren), die Gärung findet langsam, spontan, teils mit ganzen Trauben und nur mit eigenen Hefen statt. Die waldreiche, bergige Landschaft sorgt mit ihren frischen Brisen für stets gesunde Trauben, die bestens auf den kargen, kalkhaltigen Böden gedeihen können. Elegante, feingliedrige Sangiovese-Weine sind das Ergebnis dieser einmaligen Konstellation.
Das Weingut läuft inzwischen so erfolgreich, dass O’Callaghan sich dazu entschließt, auch Weine seines eigenen Projekts unter dem Namen Tenuta di Carleone herauszugeben. Der „Il Guercio“ aus 100 Prozent Sangiovese-Trauben, die erst spät vom hochliegenden Weingarten in Gaiole gepflückt wurden, um maximale Reife einzufangen, ist so ein Fall. Vorsichtig mit Füßen zerstampft und natürlich fermentiert, zeigt dieser Wein, was für ein Meister seines Handwerks O’Callaghan ist. Auch die lange Maischestandzeit von vier Monaten und der Ausbau in Zementtanks sind typisch für den Briten, für den ein guter Sangiovese elegant sein sollte, leichtfüßig, und doch mit einem starken Tannin-Rückgrat. Sean O’Callaghans Handschrift prägte die Weine von Riecine. Wir meinen, sie kommt jetzt bei Carleone mit noch mehr Finesse zur Geltung.