Low intervention
Minimalistisches Winemaking, maximaler Genuss

Autorin: Daniela Dejnega
Natural Wine, Low Intervention, Minimalismus im Keller. Diese Begriffe sind in der Weinszene in aller Munde, aber auf Menschen, die einfach unkompliziert Wein genießen wollen, wirken sie oft abschreckend. Für Argwohn gibt es aber keinen Grund.
Sie haben schon einmal einen Natural Wine probiert, der Ihnen nicht geschmeckt hat? Ich auch. Egal, ob natural, bio oder konventionell: Ich habe unzählige Weine probiert, von denen ich nicht sehr begeistert war. Wer sehr viel verkostet, bemerkt auch früher oder später – zum Beispiel nach dem 37. „gebietstypischen“ Grünen Veltliner –, dass viele Weine doch recht ähnlich schmecken. Fruchtig halt, glattgebügelt und beliebig, in anderen Worten: langweilig. Doch dann – mitten im Einheitsbrei – sticht plötzlich ein Wein heraus. Er riecht anders, eigenständig, würzig, rauchig und erdig, die Frucht ist da, bleibt aber dezent im Hintergrund; am Gaumen wirkt er ungeheuer lebendig und leichtfüßig, aber komplex, irgendwie unaufgeregt, authentisch, ohne Kitsch. Der Wein macht Freude. Aber warum ist er anders?
So fing ich vor vielen Jahren an, mich auch für Weine abseits vom Mainstream zu interessieren und landete rasch bei biologisch und biodynamisch hergestellten Weinen, bei Low-Intervention-Wines, Orange Wines und Natural Wines. Aber schon diese Aufzählung zeugt von potenzieller Begriffsverwirrung, denn: Ein zertifizierter Biowein ist noch lange kein Natural Wine; beim Orange Wine vergären weiße Trauben auf der Maische, er ist aber nicht zwingend bio oder gar natural. Und was passiert eigentlich bei Low Intervention im Keller?
Empfehlungen
Weniger ist mehr
Obwohl eine gesetzliche Definition von Natural Wine fehlt, herrscht in der internationalen Weinbranche der Konsens, dass es sich um biologisch oder biodynamisch erzeugte Weine handelt, die im Keller nach dem Prinzip „Low Intervention“ – mit möglichst wenigen Eingriffen – entstehen. Dabei wird auf übliche Weinbehandlungsmittel wie Reinzuchthefen, Enzyme, Hefenährstoffe, Gummi arabicum etc. verzichtet. Der minimalistische Zugang kommt auch ohne Schönungen und ohne Filtration aus, stattdessen geben die Winzer:innen ihren Weinen mehr Zeit. Ob eine minimale Menge an Schwefel zur Konservierung des Weines notwendig ist, wird individuell entschieden. Das „Weniger ist mehr“ der Natural-Wine-Szene wurde in den vergangenen Jahren zu einem Trend, der die gesamte Weinbranche in einem gewissen Rahmen beeinflusst. Die unaufhaltsame Zunahme der weltweiten Biorebfläche zeugt ebenfalls von voranschreitendem Umdenken.

Es besteht kein Zweifel mehr, dass Low Intervention, Natural Wines und Orange Wines die Weinwelt bereichern. Manche mögen einen ungewöhnlichen ersten Eindruck hinterlassen, doch es lohnt sich ungemein, sich auf diese Geschmackswelt einzulassen. Begegnete man in den Anfangsjahren mitunter leicht fehlerhaften Weinen, so ist diese Gefahr heute deutlich geringer. Die Winzer:innen besitzen nun ganz einfach mehr Erfahrung und viele haben die Phase des wilden Ausprobierens hinter sich gelassen. So gibt es reichlich Low-Intervention- Weine, die nicht „funky“ sind und deshalb auch Liebhaber:innen eines konventionelleren Weinstils überzeugen. Die Grenzen sind fließend. Schon lange plädiere ich für einen entspannten Umgang mit diesem Thema und empfehle allen Weininteressierten, einfach immer wieder Neues auszuprobieren. Wenn’s schmeckt, dann schmeckt’s!
An den vorgestellten Weinen sollten sowohl Naturweinfreund: innen als auch -skeptiker:innen Gefallen finden: Für Spaß im Glas steht der Cantine Amato Pet Nat Rosato aus dem Nordosten Siziliens. Seine Machart – als Pet Nat beendet er seine erste Gärung direkt in der Flasche – passt zum Thema „Low Intervention“, zugleich ist seine Herstellung handwerklich sehr aufwendig. Spannend ist auch die autochthone Rebsorte Nocera! Oder versuchen Sie es mit Lageders Chardonnay Gaun aus Südtirol, der schlank und elegant ganz auf Salzigkeit und Spannung fokussiert ist; der teilweise Kontakt mit den Schalen und Stängeln der Trauben betont Struktur und Frische.

Als Burgenländer präsentiert sich Hannes Schusters Aus den Dörfern Weiß etwas würziger, fülliger und druckvoller, aber nicht weniger toll balanciert. Von Fred Loimers Riesling Ried Steinmassl lege ich Ihnen den Topjahrgang 2015 ans Herz – aktuell sehr hedonistisch und vielschichtig, ein biodynamisch angebauter und minimalistisch vinifizierter Klassiker von einer Ersten Lage.
Auch beim Rotwein zählen Frische und Leichtfüßigkeit heute oft mehr als Konzentration und Holz. Die Loire beispielsweise bringt überraschend feine, trinkanimierende Cabernet Francs hervor, wie den Chinon Les Petites Roches der Domaine Charles Joguet. Und Aufgeschlossenen empfehle ich Claus Preisingers bereits legendären Puszta Libre!: Zweigelt, St. Laurent und Pinot Noir als Hommage an die Freiheit des Verzichts – ein Wein, der ungeheuer viele Fans hat.