Die Renaissance der Vielfalt
Italien

Autor: Bernhard Hlavicka
Unser diesjähriger Italieneinkauf glich einem Raubzug und brachte wahrlich „fette Beute“. So viele neue Weingüter innerhalb eines Jahres haben wir bei WEIN & CO noch nie ins Sortiment aufgenommen – und ich bin seit 26 Jahren dabei. Folgen Sie unseren Neuzugängen von Norden nach Süden. Sie werden nicht enttäuscht sein.
Friaul-Julisch Venetien
Im Collio, wo sich die schönsten Hügel des Friauls zur slowenischen Grenze hin erstrecken und man eigentlich gar keine Grenze sieht, haben wir einen feinen Ribolla Gialla gefunden. Die uralte Rebsorte – erste Erwähnung 1296! – war vor 25 Jahren beinahe ausgestorben. Heute kümmern sich findige Produzenten wie das Familienweingut Kurtin wieder darum. Der Charme der zarten, floralen Sorte mit kräftiger Säure liegt auch in dem leichten Bittermandelton, der sich in so manches Herz zu schleichen versteht. Die elf Hektar des Weinguts liegen gleich neben dem bewaldeten Naturschutzgebiet Bosco Plessiva. So ist für ein einzigartiges, die Aromatik der Trauben förderndes Mikroklima gesorgt.
Auch der Pinot Grigio der Kurtins ist sehr süffig und passt ideal zum San-Daniele-Schinken. Und ihr Cabernet Franc zeigt, wie die aktuell im Trend liegende Sorte im Collio schmecken kann: aromatisch mit Paprika und Cassis hinterlegt, am Gaumen saftig, dazu ein straffes Tanningerüst, aber insgesamt eher auf der leichten, süffigen Seite, mit gerade genug Gerbstoff, um Käse wie den friaulischen Montasio begleiten zu können.

Pinot Grigio ist auch jene Rebsorte, für die unsere zweite Neuentdeckung aus dem Friaul steht: Valentino Butussi. Valentino war der namensgebende Gründervater, der 1906 den Betrieb in den Colli Orientali nördlich von Rosazzo startete. Heute betreiben die Geschwister Erika, Matia, Tobia und Filippo das Weingut. Der Weinausbau in Stahl, Beton und 700-Liter-Fässern ist so traditionell wie die Etiketten des Weinguts. Der Geheimtipp ist aber der Friulano, jene alte autochthone Rebsorte, die bis 2006 „Tocai Friulano“ hieß, wenngleich sie mit der ungarischen Region Tokaji nichts zu tun hat. Ihr Synonym Sauvignonasse deutet schon an, dass sie mit Sauvignon Blanc verwandt ist. Sie ist zwar nicht so aromatisch, aber die angenehmen Zitrus- und Kräuteraromen und die saftige Säure machen den Friulano zu einem idealen Aperitif oder Terrassenwein.
Lombardei & Piemont
In der Lombardei führen ebenfalls Geschwister, Federico und Silvia Stefini, das Schaumweingut 1701 Franciacorta. Der Name deutet auf die sehr lange Geschichte des Hauses in Cazzago San Martino hin, aber Silvia und Federico übernahmen das altehrwürdige Gut erst 2012 und krempelten es komplett um. Heute führen sie das erste und bisher einzige biodynamisch zertifizierte Weingut der Appellation. Leider sind die Weine stark limitiert. Besonders der Satèn, ein reinsortiger Chardonnay mit 42 (!) Monaten Hefelagerung in der Flasche, hat uns mächtig beeindruckt.
Im Piemont trafen wir Olga Semencha. Die charismatische Winemakerin führt das Mikroweingut Tenuta Foresta mit gerade einmal vier Hektar im Monferrato, wo sich aktuell gerade sehr viel tut – ganz abseits der berühmten Herkünfte Barolo und Barbaresco. Der Barbera der Tenuta Foresta wirkt viel frischer, saftiger und kühler, als es seine 14,5 Volumsprozent erwarten lassen würden. Die dem Barbera eigene, kräftige Säure puffert perfekt. Der intensive Wein konnte in 500-Liter-Tonneaus aus französischer Eiche zusätzliche Struktur und Würze aufnehmen. Bei jeder Nachverkostung freuten wir uns wieder über unsere spannende Neuentdeckung.
Toskana
Next Stop: Toskana. Eigentlich stand Chianti Classico gar nicht auf unserem Einkaufszettel. Aber als wir die Weine von Paolo Gianferonis Caparsa verkosteten, mussten wir kurzfristig umdisponieren. Das kleine Weingut aus Radda in Chianti kann man nur als bezaubernd bezeichnen. Paolo führt den Betrieb seit 1982 und übernahm seine ersten Weingärten von seinem Vater. Inzwischen sind auch Paolos Söhne Federico und Filippo am Betrieb beteiligt. Tradition wird hier großgeschrieben, biologische Weingartenarbeit ist selbstverständlich und Barriques sucht man vergeblich. Alte Betonzisternen und große Fässer dominieren den Keller. Paolo ist auf Sangiovese in seiner pursten Form konzentriert: ungeschminkt und unprätentiös bei grandiosem Trinkfluss. Die Weine wirken leichtfüßig, tiefgründig und fein. Finesse rules.
An der Küste in der südlichen Maremma, ganz in der Nähe der Fattoria Le Pupille, liegt das Weingut Il Quinto. Vittoria Saby und Valentina del Bello führen den ebenfalls biozertifizierten Betrieb seit 2016. Vittorias Vater half beim Bau des anspruchsvollen Kellergebäudes, das 2021 fertig gestellt wurde. Für das Winemaking holte man sich Rat beim Bordeaux-Önologen Antoine Medeville. Frische, Dichte und Saftigkeit prägen den Morellino di Scansano Ficaie, einen reinsortigen Sangiovese. Das ist moderne Toskana von einem jungen Team; Spannung garantiert.
Apulien & Sizilien

Der traurige Teil meiner Einkaufserfolgsstory ist leider das Ableben des legendären Neil Empson im heurigen Frühjahr. Der Grandseigneur des italienischen Weins war über 50 Jahre lang einer der wichtigsten Exporteure italienischer Weine nach Amerika. Sein einziges eigenes Weingut liegt in Apulien und sein Name – Matané – setzt sich aus den Vornamen seiner Frau Maria, seiner Tochter Tara und eben Neil zusammen. Empson hatte im Salento, dem östlichsten Teil des italienischen Stiefelabsatzes, einen alten Weingarten bei Taranto gefunden, der es ihm angetan hatte. Die dunkelrote Erde, die starke Sonne, die nahe Adria – hier wollte er persönlich ein Weingut starten. Und sein Wein ist weit von den allseits bekannten apulischen Faserschmeichlern entfernt. Der Matané Primitivo di Manduria ist ein frischer Roter, der mit Dynamik, Pikanz und Fokus brilliert. Sein Etikett ziert eine Zeichnung des traditionellen Pizzica-Tanzes, der symbolisch für die alte Tradition der dionysischen Gelage steht. Genauso wie auf der Abbildung tänzelt auch Neils Primitivo beständig über den Gaumen. In diesem Wein lebt Neil weiter und bringt Glück in die Gläser.
Unsere Reise endet auf Sizilien. 40 Kilometer südwestlich der Hauptstadt Palermo erstrecken sich die sanft rollenden Hügel des Mazara-Tals. Hier bei Camporeale liegt das kleine Weingut von Giuseppe und Calogero Vaccaro. Großvater Giuseppe gründete es in den 1950er-Jahren, sein Sohn Calogero baute es aus und belieferte Restaurants in Palermo. Erst als Giuseppe junior, Calogeros Sohn, mitmachte, wurden ein ernsthafter kleiner Keller und ein Weingut gebaut. Weil es auf einem Hügel steht, heißt das Weingut Case Alte (hochgelegene Häuser), aber ansonsten ist hier alles klein dimensioniert. Die Rotweintrauben werden händisch entrappt und die Flaschen werden einzeln nummeriert. Die Produktion ist klein und überschaubar – genau so will es die Familie. Naturverbunden und alles von Hand unter Kontrolle, so erreichen sie die hohe Qualität. Alle Weine sind biozertifiziert und in fesche, bauchige, mit Wachskapseln verschlossene Flaschen gefüllt. Was sich in den Flaschen befindet, kann sich wirklich sehen lassen: Die Vaccaros produzieren frisch-fruchtigen, saftig-mineralischen Catarratto aus der DOC Monreale und stoffigen Nero d’Avola. Der in Akazie und in kleinem französischen Holz ausgebaute Bianco di Mortilli ist ein Einzellagen-Catarratto von einem 1992 ausgepflanzten Weingarten. Hier wird die Hefe manuell aufgerührt, was zu cremiger Finesse führt. Haselnuss- und frische Zitrusnoten führen zu einem unerwartet hochwertigen Weingenuss, der den naheliegenden Vergleich mit weißen Burgundern nicht zu scheuen braucht. Wer hätte gedacht, dass im Westen Siziliens so großartig frische Weißweine entstehen.
Italien ist immer wieder für neue Überraschungen gut!
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