So bescheiden das Anwesen, eigentlich ein kleiner Weiler, im ersten Moment wirkt, so picobello sauber ist der Keller mit seinen großen, ovalen Fässern aus alter, slawonischer Eiche. Wenn einem in diesem stimmungsvollen Ziegelgewölbe die heute 74-jährige Dora das erste Glas vom Rosso di Montepulciano reicht, lächelt sie zumeist verschmitzt, weil sie voraussieht, was bereits der erste Schluck davon bei ihren Gästen auslöst. Dann verwandelt sich ihr wettergegerbtes Gesicht in das hübsche Antlitz jenes wilden Mädchens, das 1983 aus den Turnschuhen direkt in die Gummistiefel schlüpfte, um einen wahrhaftigen, eleganten Rotwein aus ihrer Lieblingstraube zu machen. „Der Wein ist das Ebenbild des Winzers“, schrieb Professor Peynaud aus Bordeaux. Doras Wein ist ehrlich, sinnlich, fröhlich und dabei so nobel wie eine Medici-Principessa. Aus ihrem Keller kommt der wahre Vino Nobile di Montepulciano. „Der einzig wahre!“, pflegt der Patron des auf authentische Weine spezialisierten Restaurants „Enoteca Bruni“ in Florenz zu sagen.
Und so beschließe ich, während ich diese Zeilen schreibe, Dora heuer im Herbst wieder einen Besuch abzustatten. Mit etwas Glück bekomme ich dann zum Nobile auch einen gebratenen Fasan, denn es heißt, dass sie zumeist ihre Flinte mit dabeihat, wenn sie mit dem Traktor ausfährt.