Zum Teufel mit dem miesen Zeug!
Mediterrane Küche steht und fällt mit gutem Olivenöl
Die schmierigen Kännchen, Fläschchen oder Dosen auf den Tischen vieler italienischer Trattorien rund um den Globus verheißen nichts Gutes. Da wird billigstes Olivenöl, das diesen Namen gar nicht verdient, aus dem Kanister umgefüllt, und diese Barbarei wird durch verlogenen Mafiosi-Charme und den „Prosecchino aufs Haus“ kaschiert. Der ist übrigens meist von der gleichen üblen Sorte wie das „Extra Vergine“, das nicht einmal als Schmieröl taugen würde. Und was machen wir? Wir finden diese niveaulosen Folklorehütten mit dem Prosecchino-Schmäh und dem Dieselöl am Tisch „ach so gmiatlich“ und den Padrone so klass, weil er uns zum Schluss auch noch den Grappa gratis einschenkt. Dieser Tresterfusel süßelt dann in der Regel und ist sowieso keinen Heller wert. Wirklich GUTE Grappe wäre ein eigenes Thema.
Ich verstehe nicht, warum die Restaurantkritik das Thema Olivenöl noch nicht aufgegriffen hat. Da lobe ich mir Vorbilder wie Fabios, Cantinetta Antinori und – mit Verlaub – auch WEIN & CO, für die ein hochklassiges Olio Extra Vergine di Oliva zur Grundeinstellung gehört. Ein-, zweimal mit gutem Weißbrot in das reintönige, leicht scharfe native Öl eintunken und der Lunch oder das Dinner steht schon unter einem guten Stern. Es gibt eine Erklärung für das Olivenöldesaster auf breiter Front, denn wirklich gutes Olivenöl kann nicht billig sein. Aber Olivenöl ist im Mittelmeerraum ein Grundnahrungsmittel, so wichtig wie bei uns die Butter, und damit dem Preispopulismus ausgeliefert. Der faschistische spanische Diktator Francisco Franco („El Caudillo“) wollte sich volksnah geben, indem er eine sehr niedrige gesetzliche Preisobergrenze für Olivenöl verordnete. Die Langzeitfolgen dieses Desasters sind heute noch spürbar. Spanisches „Aceite de Oliva“ hat immer noch einen ramponierten Ruf, obwohl es heute auf der Iberischen Halbinsel wieder hervorragende Produzenten gibt. Einer der besten ist José Gálvez aus dem andalusischen Olivenöl-Mekka Jaén zwischen Granada und Córdoba. Die beiden reinsortigen Öle der Sorten Picual und Arbequina seiner Manufaktur Oro Bailén gehören zu den höchstprämierten des Landes und auch für die Olivenöl-Bibel „Flos Olei“ zu den besten der Welt.
Kroatien ist ebenfalls ein Musterbeispiel dafür, dass Spitzenqualität in manchen Bereichen nur in freien Gesellschaften möglich ist. Das zeigt sich sowohl im fulminanten Aufschwung, den der Tourismus dort nach dem Zerfall des kommunistischen Jugoslawiens genommen hat, als auch bei der Qualität der Weine und vor allem des Olivenöls. Istrien zählt heute zu den Hotspots der Olivenöl-Weltelite, was zu einem nicht unerheblichen Teil auf die visionäre Qualitätsarbeit der Familie Belić zurückzuführen ist. Nicht weniger als 25 international renommierte Preise hat der ehemalige Banker Duilio Beli für seine zahlreichen Produkte in den schlanken Fläschchen mit dem unverwechselbaren Streifendesign eingeheimst, vom zarten „Buža“ für den Fisch bis zum kräftigen „Rosulja“ für gegrilltes Fleisch.
Apulien ist mit über 50 Millionen Olivenbäumen die wichtigste Olivenöl-Region Italiens. Lange stand sie im Schatten der Toskana, von wo berühmte Weinproduzenten den Ruf der toskanischen Küche in die Welt hinaustrugen und damit auch den Absatz des toskanischen Öls ankurbelten. Sowohl beim Wein als auch beim Olivenöl zählt Apulien heute zu den Aufsteigern der Apenninhalbinsel. Von ihren 20 Hektar Olivenhainen in der Nähe von Bari gewinnt die Familie Stallone aus der lokalen Spitzensorte Coratina ihr Olio Extra Vergine di Oliva mit dem sortentypischen hohen Polyphenolanteil und einem feinen pfeffrigen Geschmack. Die dreikantige Flasche versinnbildlicht den Namen der Domäne „Le Tre Colonne“ (die drei Säulen). Ich muss nicht extra erwähnen, dass ich immer auch dunkelgrüne toskanische Öle zu Hause habe. Zum Beispiel die intensiven Elixiere meines Freundes Giuseppe Mazzocolin von der Fattoria di Fèlsina. Gemeinsam mit dem unvergesslichen intellektuellen Gastrosophen Luigi Veronelli (†2004) hat Giuseppe die Neupositionierung der italienischen Olivenölkultur maßgeblich mitgestaltet.
Das toskanische Olivenöl, auch jenes aus Castagneto Carducci in der Maremma (zum Beispiel Fonte di Foiano), ist zu einem Archetyp geworden. Mit seiner Pikanz und Intensität passt es am besten zu den toskanischen Suppen und Bohnengerichten, Röstbrotschnitten (Bruschetta und Fett’unta) und – als Tupfen auf dem i – auf die fertig angerichtete Bistecca alla fiorentina – „con un filo d’olio“, wie es überall in Italien heißt. Ein ganz anderer Archetyp ist das ligurische Olivenöl aus den kleinen, dunklen Taggiasche-Oliven. In seinem fantastischen Büchlein zu grundsätzlichen Techniken der feinen Küche „Oltre il fornello“ hat der erste Dreisternekoch Italiens Gualtiero Marchesi (†2017) über den grundlegenden Unterschied zwischen toskanischem und ligurischem Öl philosophiert. Durch seinen milderen, dezenteren Charakter ist das ligurische Taggiasche-Öl prädestiniert für die Fischküche. Die Sache hat nur einen Haken: Es gibt in Ligurien nur ganz wenige gute Produzenten, wie beispielsweise Paolo Cassini. Sein Spitzenöl ist fast schon zu „toskanisch“ – grandios, intensiv und tiefgrün. Uns hat sein ganz sanft gepresstes Taggiasca „S’ciappau“ noch besser gefallen. Das ist Ligurien, wie es leibt und lebt.
Und wenn Sie heuer im Sommer Fisch servieren, können Sie sich zwischen diesem oder einem istrischen von Belić , zum Beispiel Buža, entscheiden. Oder doch das Arbequina aus Spanien, oder – wenn das Rezept etwas pikanter ist – das Coratina aus Apulien? Der Reiz bei wirklich gutem Olivenöl ist auch das Experimentieren mit den Nuancen. Dazu brauchen Sie ein paar gute Flaschen in ihrer Küche, gerade jetzt im Sommer.
Ihr Willi Klinger