Daniela Dejnega: Stefanie, Du stammst aus Rheinhessen und bist mit Riesling groß geworden. Wie schnell und wie gut hast Du Dich im Kamptal mit dem Grünen Veltliner anfreunden können?
Stefanie Jurtschitsch: Ich bin in Reinhessen am Roten Hang aufgewachsen, einer Steillage mit Rotem Schiefergestein, die fast zur Gänze mit Riesling bepflanzt ist – ganz ähnlich wie am Zöbinger Heiligenstein. Schon für meine Eltern und Großeltern stand immer die Lage vor der Rebsorte, und zwar nicht nur am Etikett, sondern auch emotional. Diese Terroir-Sensibilität habe ich wohl von meinem Vater geerbt und ins Kamptal mitgebracht. Deshalb habe ich mich sofort mit dem Grünen Veltliner angefreundet. Getrunken hatte ich ihn zuvor schon oft, aber seine Trauben und den Most habe ich zum allerersten Mal 2003 gekostet, als ich das erste Praktikum in Österreich absolviert habe. So habe ich den Grünen Veltliner in all seinen Facetten kennengelernt und ihn auch als Sorte mit starkem Terroir-Ausdruck lieben gelernt.
Daniela Dejnega: Was unterscheidet den Grünen Veltliner im Weingarten am meisten vom Riesling?
Alwin Jurtschitsch: Der Grüne Veltliner ist schon ein bisschen ein Sensibelchen und braucht vor allem im Weingarten viel Liebe und Pflege. Gerade auf steinigen Böden bringen uns die Reben von Grünem Veltliner oft die spannendsten Weine, sind aber in Jahren mit wenig Niederschlag viel sensibler als der Riesling, der die Trockenheit ein bisschen besser wegsteckt.
Daniela Dejnega: Das Weingut Jurtschitsch steht heute für präzise und elegante Grüne Veltliner mit einem kühlem Charakter. Wie habt Ihr zu Eurem Weinstil gefunden?
Stefanie Jurtschitsch: Wir haben uns gemeinsam durch die große Vielfalt an unterschiedlichen Gebiets- und Winzer-Stilistiken des Veltliners in Österreich getrunken, sogar ein paar Experimente aus Neuseeland und den USA haben wir probiert, und ein paar wenige deutsche Winzer haben Grünen Veltliner ja auch ausgepflanzt. Dann haben wir uns die Frage gestellt, was den Kamptaler Stil so einzigartig macht und wie Alwin und ich diese Sorte für uns selbst interpretieren wollen. Obwohl wir in einem Traditionsweingut mit langer Geschichte arbeiten, bekamen wir von Alwins Familie die Möglichkeit und das Vertrauen, unseren eigenen Stil zu entwickeln. So haben wir alte Traditionen hinterfragt und uns auch von modernen Trends verabschiedet. Die Frage lautete: Was benötigen wir tatsächlich? Und was müssen wir alles weglassen, um das pure Kamptal und die leise Stimme des Terroirs im Glas zu spüren?
Daniela Dejnega: Welche entscheidenden Veränderungen habt Ihr also vorgenommen, um die Einzigartigkeit des Kamptals ins Glas zu bringen?
Alwin Jurtschitsch: Alte, traditionelle Zugänge wie zum Beispiel „Je später die Ernte, desto besser“ gehören für uns in die Vergangenheit. Wir ernten unsere Trauben reif, aber niemals überreif. Wir streben nicht nach dem Maximum, sondern sehen das größte Potenzial des Kamptals in der Engmaschigkeit, im Finessenreichtum, in der Lebendigkeit der Weine. Diese Balance lässt sich schon beim Kosten der Trauben erkennen. Wir wollen knackige Beeren mit reifen, feinen Aromen und gleichzeitig ausreichende Säure für die Frische und den Trinkgenuss unserer Weine. Der Lesezeitpunkt ist entscheidend. Beim Grünen Veltliner ist das Zeitfenster, um die optimale geschmackliche Balance zu finden, viel kürzer als beim Riesling, der die Säure etwas länger behält. Aber die kühlen Kamptaler Nächte und die Winde des Waldviertels während der Weinlese liebt der Grüne Veltliner, und das bringt die Lebendigkeit und die Frische, die unsere Weine auszeichnet.
Daniela Dejnega: Wie arbeitet Ihr dann im Keller weiter?
Stefanie Jurtschitsch: Alle Weine werden mit Naturhefen vergoren und durchlaufen spontan den biologischen Säureabbau. Sie werden nur vor dem Füllen minimal geschwefelt. Die Lagen-Veltliner und -Rieslinge bleiben mindestens zehn Monate auf der Vollhefe im großen Fass. All das macht die Weine harmonischer, ausdrucksstärker und länger lagerfähig. Auch im Keller lassen wir uns eher vom Geschmack leiten als von Analysedaten. Für uns geht es um Erfahrung und darum, auf die Natur zu vertrauen und vieles zuzulassen, weniger ums aktive Tun.
Daniela Dejnega: Und wie entstehen Eure „Entdeckungen aus dem Weingut“, Naturweine wie zum Beispiel Belle Naturelle?
Alwin Jurtschitsch: Jeder dieser Weine, von denen oft nur ein kleines Fass ausgebaut wird, beginnt im Kopf. Eine Idee, ein Gedanke auf der Suche nach der Vielfalt des Geschmacks im Wein. Belle Naturelle ist ein sanft maischevergorener, ungefilterter Grüner Veltliner mit großer Aromenvielfalt, eigentlich die etwas abenteuerlichere Alternative zu unserem klassischen Veltliner „Stein“. Beide Weine stammen von hochgelegenen Lagen rund um Langenlois und zeigen viel Terroir – jeder auf seine eigene Art.